„Am Du wird der Mensch zum Ich“

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Hoffung, Vertrauen, Respekt: Die Kernbegriffe unserer Pädagogik haben „200 Jahre Diakonie in Korntal“ geprägt.

Nach einer gelungenen Beziehung sehnt sich jeder Mensch. Damit sie entsteht und tragfähig wird, sind andere Menschen wichtig. Im pädagogischen Handeln in unseren Einrichtungen wie beim dunklen Kapitel von Gewalt und Missbrauch in unseren Kinderheimen spielen Hoffnung, Vertrauen und Respekt eine zentrale Rolle. Diakonie-Geschäftsführerin Jutta Arndt beschreibt, was diese drei Schlüsselbegriffe für sie persönlich bedeuten.

Ich verbinde mit den Worten Hoffnung, Vertrauen und Respekt die Erinnerung an einen eindrücklichen Besuch bei dem Künstler Gerhard Roese, als ich zum ersten Mal die drei Skulpturen gesehen habe, die im Sommer 2022 auf dem Gelände des Hoffmannhauses und des Flattichhauses in Korntal ihren Platz gefunden haben und im Frühjahr 2023 auf dem Gelände des Hoffmannhauses in Wilhelmsdorf aufgestellt werden. Diese drei Kernbegriffe unserer Pädagogik als Kunstwerke gestaltet zu sehen und zu spüren, dass mit ihnen auch Schmerz und schwere Erinnerungen verbunden sind, wurde für mich zu einer Verpflichtung für die Zukunft.

„Zu spüren, dass die drei Kernbegriffe unserer Pädagogik Hoffnung, Vertrauen, Respekt auch mit Schmerz und schweren Erinnerungen verbunden sind, wurde für mich zu einer Verpflichtung für die Zukunft.“

Brücke von Mensch zu Mensch

Alle drei Begriffe sind Ausdruck von Beziehung. Sie sind wie eine Brücke zwischen Menschen. Ich erinnerte mich an ein Wort des jüdischen Philosophen Martin Buber: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Eingebunden in die Beziehungen, die uns angeboten werden, reifen wir zum Ich. Das muss uns als Menschen aufeinander hin verpflichten. Alle drei Begriffe bilden den Raum, in dem ein stabiles Ich wachsen kann. Doch dieser Raum ist fragil, geprägt von unseren Möglichkeiten wie von unseren Versäumnissen und Fehlern.

Vertrauen ist erlerntes Verhalten. Respekt meint, als unverwechselbarer Mensch von einem anderen Menschen anerkannt zu werden. Hoffnung ist die Kraft, die uns auf positive Zukunftsbilder hin ausrichtet. Ich persönlich möchte da leben, wo mir Hoffnung, Vertrauen und Respekt entgegengebracht werden; wo diese Begriffe eine Haltung kennzeichnen und einen Rahmen beschreiben, in dem ich und in dem wir leben können. Hoffnung, die mir zugesprochen wurde, ganz besonders aus der Gewissheit, dass Gott für mich da ist, sich mir zuwendet und gerade mich meint, hat mir Kraft gegeben, auf meinem eigenen Lebensweg hoffnungsvoll „dranzubleiben“. Immer da, wo mir jemand etwas zugetraut oder mir vertraut hat, bin ich gewachsen und habe gelernt, mir und meinen Möglichkeiten zu vertrauen. Wo mir Respekt entgegengebracht wurde, habe ich mich als individuelle Persönlichkeit verstanden, die in ihrer Ganzheit so sein darf, wie sie ist.

„Immer da, wo mir jemand etwas zugetraut oder mir vertraut hat, bin ich gewachsen.“

Grundlage unserer Pädagogik

Hoffnung, Vertrauen und Respekt als Kernbegriffe unseres pädagogischen Handelns zielen darauf hin, Menschen als individuelle Geschöpfe Gottes wahrzunehmen. Deshalb verpflichten sie uns darauf in ganz besonderer Weise:

  • Hoffnung ist das, was ungeduldig macht im guten Sinne. Interessant ist der Ursprung des Wortes: Es stammt aus dem Mittelhochdeutschen und kommt von „Hopen“, was in etwa bedeutet: Ungeduldig auf etwas warten, dass man schon fast sehen kann. Mit dieser Haltung wollen wir unsere Kinder und Jugendlichen erleben: indem wir ungeduldig auf das warten, was sich in ihnen entwickelt und was wir schon fast sehen können; ungeduldig warten auf Wachstum, das geschieht im heilsamen Umgang miteinander.
  • Vertrauen als intensive Kompetenz eines Menschen wächst in der frühkindlichen Phase. Oft konnte diese erste Bindung nicht entstehen oder ist aus unterschiedlichen Gründen nicht gelungen bei den Kindern und Jugendlichen, die sich uns anvertrauen müssen. Wir können sie dabei unterstützen, diese Fähigkeit zu lernen: Sich selbst und anderen vertrauen. Eine tragende Gemeinschaft erleben, in der man sein kann, wie man ist. Einen Ort finden, an dem man Fehler machen darf, ohne verurteilt zu werden. Zuversicht erleben, dass Menschen bei einem bleiben und mit einem gehen. Wenn das geschieht, wird ein Mensch dem anderen Menschen zum Du und ermöglicht ihm, sich selbst zu spüren, wertzuschätzen und ernst zu nehmen.
  • Respekt: Dieser Begriff ist differenziert zu betrachten. Habe ich Respekt, weil ich Angst habe vor jemandem? Oder weil ich jemanden schätze und ihn als authentisches Gegenüber erlebe? Reden wir über Respekt, den Kinder und Jugendliche unseren Pädagogen entgegenbringen sollen? Oder meinen wir den Respekt, den wir ihnen zollen? Wir möchten die Kinder und Jugendlichen, die mit uns ihre Lebenszeit verbringen, als Persönlichkeiten respektieren, die ihren eigenen Weg gehen. Wir wollen ihnen vorleben, wie ein Leben sein kann, das von Respekt dem Anderen und sich selbst gegenüber geprägt ist. Sie sollen erleben, wie sich ein Leben anfühlt, in dem ihnen Respekt entgegengebracht wird. Wenn man ihnen zuhört und nicht urteilt oder verurteilt. Wenn wir fragen, was sie brauchen und was sie sich für ihr Leben wünschen.
Hoffnung, Vertrauen und Respekt sind nötig, damit Leben gelingt.

Auch Mitarbeitende sollen wachsen

Nicht nur im Umgang mit den uns anbefohlenen Kindern, Jugendlichen oder älteren Menschen in unseren Pflegeeinrichtungen und im betreuten Wohnen verstehen wir diese drei Begriffe als guten Rahmen für das Zusammenleben. Auch unsere Kolleginnen und Kollegen sollen erleben, dass sie in der Diakonie als die Persönlichkeiten angenommen sind, als die sie zu uns kommen; so wie sie geworden sind und wie sie sich noch entwickeln werden.

Im Vertrauen darauf, dass wir alle von Gott gewollt und geschaffen sind, ist es schön, allen Mitarbeitenden einen solchen Raum zu ermöglichen, in dem sie sich selbst entdecken und immer wieder neu erleben können.

„Bei uns sollen Menschen einen Freiheitsraum bekommen, um Frustration zu ertragen, Vergangenes zu verarbeiten und Neues zu beginnen.“

Ich persönlich habe viel Respekt vor den Menschen, mit denen ich gemeinsam auf dem Weg bin, im Sinne von Hochachtung und Neugierde. Ich möchte unsere Mitarbeitenden, die Auszubildenden, Praktikanten, Ehrenamtlichen und alle, die bei uns mitwirken, als Individuen verstehen, die ihre Gaben und Möglichkeiten in der Diakonie einbringen und entdecken, weiterentwickeln und miteinander teilen.

Hoffnung ist dabei das, was uns alle trägt: Die Hoffnung, dass wir „genügen“, so wie wir uns einbringen in unsere Dienstgemeinschaft und wie wir unseren Aufgaben gerecht werden. Die Hoffnung, dass Gott bei uns ist und uns Kraft gibt, wo wir sie selbst nicht haben. Die Hoffnung darauf, dass bei allem, was wir nicht leisten können oder wo wir uns gegenseitig verletzen oder Fehler machen, es letztlich Gott ist, der heilt, neu macht und segnet.

Unsere Diakonie soll Freiheit fördern

Wenn wir auf die Erinnerungsskulpturen schauen, die im Sommer 2022 in Korntal aufgestellt wurden und die 2023 in Wilhelmsdorf einen Platz finden soll, möchten wir als Diakonie besonders im Blick behalten, dass in unseren Einrichtungen alle Menschen einen Freiheitsraum bekommen – einen Raum, Frustration zu ertragen, Vergangenes zu verarbeiten und Neues zu entdecken und zu beginnen. Besonders wenn es um die Prävention von Missbrauch oder missbräuchlichem Verhalten geht, verpflichten wir uns auf eine hoffnungs-, vertrauens- und respektvolle pädagogische Haltung und einen heilvollen Umgang miteinander. Und auf ein kollegiales Miteinander, dass Raum gibt für Reflexion, Transparenz und Weiterentwicklung.

Ich wünsche mir sehr, dass wir dieser Verpflichtung gerecht werden. Dass wir uns anregen lassen zum Entdecken der vielfarbigen Facetten von Hoffnung, Vertrauen und Respekt. Und dass wir dabei aufeinander neugierig bleiben in der Erwartung, dass der Mensch am „Du“ zum „Ich“ wird.

Jutta Arndt, Geschäftsführerin

Auf Augenhöhe: Wo Vertrauen das Miteinander bestimmt, können Menschen wachsen und gedeihen.

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